Norwegen

~ Solotour im Rondane Nationalpark – Tag 1 ~

Datum:     Montag, 12.10.2009
Wetter:     Deutschland: 8 °C, regnerisch; Norwegen: -3 °C, klar

Und dann kommt er, der Tag der Abreise. Tags zuvor bin ich mit meinen Kindern bereits zu meiner Oma gefahren, die mit meinen Eltern zusammen die Kinderbetreuung für die nächsten 10 Tage übernimmt. Am Morgen stehe ich um 06.15 Uhr auf. Oma hat schon ein leckeres Frühstück gemacht. Wie lange genau muss ich jetzt nochmal auf ein solches verzichten? Mit leichtem Unbehagen denke ich an den mageren Proviantbeutel, der nach den zahllosen kläglichen Versuchen, meinen riesigen Ausrüstungsberg in den im Vergleich dazu geradezu winzigen Rucksack zu stopfen, übrig geblieben ist…

Mein Vater, der mich auf seinem Weg zur Arbeit nach Elsterwerda zum Bahnhof bringt, steht um 7 Uhr an der Tür und erklärt mich für verrückt, als wir gemeinsam den Rucksack in den Kofferraum wuchten. Am Bahnhof angekommen, muss ich noch rund eine halbe Stunde warten, bis mein Zug kommt. So wie ich dort sitze, alleine im trüben Grau, mit einem Rucksack, den ich kaum anheben kann, bekomme ich zum ersten Mal Angst, mir doch zuviel vorgenommen zu haben. Die Sorgen meiner Oma, mischen sich in Gedanken mit den Tränen meiner Jüngsten, als ich mich verabschiedet habe, und den eigenen Bedenken. 10 Tage Norwegen. Ein Rucksack, den ich kaum anheben kann. Keine finanzielle Reserve, die mich auf eine Unterkunft außer meinem Zelt zurückgreifen ließe, geschweige denn eine Umbuchung des Fluges, falls doch etwas schief läuft. Ich bin schon froh, dass ich im August des Jahres zum ersten Mal mit dem Flugzeug zur Hochzeit meines Bruders nach Madrid geflogen bin und mir das Prozedere deshalb nicht mehr ganz neu ist… Dennoch. Auf einmal kommt in mir ein fast übermenschlicher Fluchtreflex auf. Noch könnte ich bleiben. Doch dann kommt mein Zug und ich steige ein. Jetzt gibt es kein zurück mehr…

Mit dem „Voigtland-Express“ geht es in 1 ½ Stunden ohne Umsteigen nach Berlin-Schönefeld und das Ganze für nur 12 Euro. Die Deutsche Bahn verlangt mit 1x Umsteigen auf der gleichen Strecke satte 30 Euro mehr. Der bei der Abfahrt schon recht graue Himmel öffnet zu allem Überfluss auch noch seine Schleusen und ich hoffe, dass es oben in Skandinavien nicht genauso aussieht.

Der Check In am Flughafen verläuft problemlos, da die nette Frau am Schalter bei den 2,4 kg Übergewicht meines Rucksacks nochmal ein Auge zudrückt. (Alternativ hätte ich daraus jedoch noch zwei Gepäckstücke machen können, die ich gebucht hatte, da ich wusste, dass 20 kg nicht reichen würden – auf Umpacken hatte ich jedoch so gar keine Lust…). Bei der Sicherheitskontrolle werden meine Schuhe durchleuchtet und die Kameraausrüstung in meinem Handgepäck wird zudem mit einem „Staubsaugetest“ auf Drogen oder Sprengstoff untersucht. Da jedoch alles clean ist, darf ich unbehelligt in meinen Flieger steigen…

Gegen Mittag hebt dieser dann ab und trägt mich durch die dicke Wolkenschicht an die Sonne und ich genieße den dunkelblauen Himmel und die faszinierenden Wattebäusche unter mir. Der Flug nach Oslo-Rygge dauert keine zwei Stunden und schon bald zeigen sich herbstbunte Wälder und zahlreiche Seen unter der mittlerweile aufgerissenen Wolkendecke.

Als ich das Flughafengebäude in Rygge verlasse, ist es wunderbar warm in der Sonne. Ein kostenloser Shuttlebus bringt mich dann auch gleich zum Bahnhof nach Rygge. Mein Zugticket für die Weiterfahrt nach Otta, dem Tor zum Rondane-Nationalpark, habe ich übers Internet schon Wochen vorher zum Minipris 199,- NOK in Deutschland gebucht. Ich bin gespannt, ob die Abholung am Ticketautomat problemlos funktioniert. Und es geht dann auch sehr easy. Man kann sich das Menü sogar in deutscher Sprache anzeigen lassen und nach Eingabe meiner Referenznummer halte ich kurze Zeit später meine Fahrscheine in den Händen. Eigentlich hätte ich hier nun noch zwei Stunden Zeit, bevor der gebuchte Zug mich nach Oslo Sentralstasjon bringen würde, aber die freundliche Zugbegleiterin lässt mich schon in den Zug eher, der kurze Zeit später abfährt, einsteigen. Das ist mein Glück, denn so habe ich in Oslo ausreichend Zeit, mich um den Brennstoffvorrat für meinen Benzinkocher zu kümmern.

Auf dem Hauptbahnhof angekommen, muss ich erstmal meinen Rucksack losweden, da ich nicht mit diesem Gewicht auf meinem Rücken durch die Stadt laufen will. Etwas schlucken muss ich dann schon, denn das Schließfach soll 40 Kronen kosten, was beim derzeitigen Wechselkurs von 1:7,9 rund 5 Euro sind. Aber ich beiße in den sauren Apfel und zahle die Gebühr. In zweierlei Hinsicht erleichtert, laufe ich nun los zum Intersport in der Storgata 11. Es ist nicht sehr weit und ich genieße auf dem Weg dahin das Gefühl, nun wirklich in mein kleines Abenteuer zu starten… Der Preis, der mir dann in dem kleinen aber gut sortierten Sportgeschäft für meine zwei Flaschen gereinigtes Benzin abgenommen wird, holt mich jedoch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Eine Literflasche kostet sage und schreibe 69,- NOK, das sind etwas über 8,70 €!

Zurück am Bahnhof habe ich noch etwas Zeit und kann so noch in aller Ruhe durch die diversen Geschäfte bummeln. Danach hole ich mir meinen Rucksack zurück, fülle das Benzin in die Brennstoffflasche um und packe ihn zum vorerst letzten Mal um. Stolze 35,4 kg wiegt er jetzt – davon bringt allein die Kameraausrüstung samt Stativ rund 8 Kilo auf die Waage! Kann ich nicht ein ganz normales Hobby wie Briefmarken sammeln haben?!?

Pünktlich um 18.32 Uhr fährt mein Zug ab und vier Stunden später steige ich in Otta aus. Per Google-Maps habe ich mir eine kleine Karte ausgedruckt, mit der ich auch ganz gut aus der Stadt hinaus in Richtung Nationalpark finde. Es ist hier schon echt frisch, doch unter der erbarmungslosen Last meines Rucksacks, mit dem ich mich auf der Suche nach einem Schlafplatz Serpentine um Serpentine die Straße nach Mysuseter hinauf quäle, bin ich schon nach kurzer Zeit total durchgeschwitzt. Und mit jedem Schritt, den ich mich weiter nach oben schleppe, wird mir klarer, dass mein Vater völlig Recht hatte. Ich bin verrückt, total bescheuert sogar! Nur gut, dass ich das vorher noch nicht wusste…

Jetzt muss ich da durch und vor allem erstmal endlich eine halbwegs ebene Fläche finden. Ich stelle schon absolut gar keine Ansprüche mehr, Hauptsache mein Zelt steht bald irgendwo und ich kann endlich den unsäglichen Klumpen auf meinem Rücken loswerden und schlafen. Aber alles ist hier unsagbar steil und abschüssig. Endlich, von der Außenseite einer Kurve führt ein kleiner Trampelpfad davon. Hier werd ich versuchen, mein kleines „Micra“ aufzubauen, aber erst viel zu spät – nämlich als es das Innenzelt steht – merke ich, dass wohl der Wunsch der Vater des Gedankens war, dass ich hier endlich schlafen könnte. So „micro“ war mein „Micra“ dann doch nicht und die Stelle noch immer so abschüssig, dass ich vermutlich in der Nacht, eingewickelt in mein verselbständigtes Schlafgemach, irgendwo unten in der Sjoa gelandet wäre. Und als ob das nicht genug wäre, alles wieder zusammenpacken zu müssen, stelle ich fest, dass ich scheinbar den einzigen Kothaufen im meilenweiten Umfeld auserkoren hatte, um mein Zelt darauf zu stellen. So eine Sauerei! Mein Zelt stinkt und auch meine Schuhe und mein Rucksack haben etwas abbekommen. Ich bin sowas von bedient und könnte nur noch heulen. Nichtsdestotrotz werfe ich mir den Rucksack wieder auf den Rücken, um weiterzugehen.

Der wunderschöne sternenklare Nachthimmel über mir, das Wispern des leichten Windes in den letzten verbliebenen goldgelben Blättern an den Birken um mich herum und die nach Winter duftende Luft lassen mich dennoch irgendwie glücklich sein (wenigstens für die kurzen Momente, in denen ich zum Luftholen innehalte während ich meinen Rucksack auf den Leitplanken abstütze…). Aber zum Glück finde ich in einer weiteren Serpentine hinter einer Betonmauer endlich eine ebene Fläche, auf der ich das Zelt aufschlagen kann. Als ich endlich in meinen Schlafsack krieche ist es halb 4 Uhr morgens…

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