Norwegen
~ Solotour im Rondane Nationalpark – Tag 5 ~
Datum: Freitag, 16.10.2009
Wetter: -5 °C, wolkig, Sturm
Als ich bei Tagesanbruch mit den ersten rosaroten Sonnenstrahlen aus dem Zelt schlüpfe, hat der Sturm etwas nachgelassen, aber er bläst mich noch immer fast von den Beinen. Es ist wieder kälter geworden und der See um mein Zelt herum ist zu blankem Eis gefroren. Der Himmel zeigt sich, bis auf einige Wolken inzwischen wieder fast blau.
Ich schicke gegen 7 Uhr eine SMS an meinen Vater zuhause und frage ihn nach der Wetterprognose. Kurze Zeit später bekomme ich die Nachricht, dass es wieder kälter werden soll, bei mäßigem Wind und kaum Niederschlag. Nach dem Schrecken der letzen Nacht, überlege ich nun hin und her, was ich nun machen soll. Eigentlich wollte ich noch weiter ins Gebirge hinein, zumindest bis zum Rondvatnet. Aber da dies meine erste Solotour ist und ich außerdem, falls mir etwas passiert, so verlassen wie das Gebirge im Moment ist, kaum mit schneller Hilfe rechnen kann traue ich mich, trotz der voraussichtlichen Wetterbesserung, nicht weiterzugehen. Letztlich bleibt das Wetter im Gebirge doch immer ein wenig unvorhersehbar. Schon eine kaum nennenswerte Menge an Neuschnee, würde mich beim Vorankommen enorm behindern. Und nicht zuletzt habe ich meinen Kindern versprochen, heile wieder zuhause anzukommen.
Hier bleiben kann ich allerdings auch nicht, zu offen ist das Fjell hier und zu sehr stürmt es noch. Ich werde also mein Zelt abschlagen und mir wieder einen geschützteren Platz suchen. Zunächst jedoch mache ich noch ein paar schöne Fotos von den Bergen um mich herum mit ihren sturmzerfetzten Wolkenmützen. Winzig und schutzlos ausgeliefert steht mein kleines Zelt tapfer und trotzt tapfer den Elementen.
Als ich zum Packen wieder ins Zelt möchte, traue ich mir kaum, den Reißverschluss zu öffnen, so sehr zerrt der Wind an dem dünnen Stoff. Im schützenden Inneren gibt es nur einem Müsliriegel gegen den knurrenden Magen – Kaffekochen fällt heute aus. Dann packe ich umständlich im engen Zeltinneren alles zusammen, was möglich ist und frage mich, ob dies wirklich eine so gute Idee ist, bei dem Sturm mein Zelt abzubauen. Was, wenn es mir dabei zerreißt, oder gar davonfliegt? Andererseits weiß ich auch nicht, ob es dem Sturm so ungeschützt in voller Breitseite hier noch lange standhält. Und noch so eine Nacht voller Angst überstehe ich auch nicht. Letztlich geht doch alles gut und das Zelt verschwindet heil im Rucksack. So wunderschön dieser Ort hier auch ist, ich bin froh, als ich wieder in Richtung Mysuseter zurückgehen kann.
Auf der Versorgungsstraße, auf der ich nun zurücklaufe, komme ich allerdings auch nicht schneller voran, als auf dem kleinen Trampelpfad an der Ula gestern, denn die Straße ist total vereist und der Sturm beutelt mich – mit dem Rucksack als zusätzlicher Angriffsfläche – hin und her. Wie betrunken torkele ich also zurück, auch etwas enttäuscht, dass ich so nicht mehr weiter in den Nationalpark vordringen kann… Ein paar schöne Impressionen dieses Sturmtages kann ich entlang des Weges dann auch noch einfangen.
Mein Lager schlage ich zunächst einmal wieder an der geschützten Stelle an der Ula auf, an der ich bereits die erste Nacht campiert habe. Ich schlüpfe in den Schlafsack, um mich wieder aufzuwärmen, lese ein paar Seiten, schreibe Tagebuch und sichte Bilder in der Kamera. Es bleibt den ganzen Tag über stürmisch und das Zelt flattert auch hier noch ziemlich heftig. Ich mag mir kaum ausmalen, wie es jetzt dort oben im Fjell aussieht. Ich gehe heute nicht einmal mehr zum Fotografieren raus, zu kalt ist mir. Die Temperatur liegt zwar nur bei -5 °C, aber durch den Wind werden mindestens gefühlte -15 °C daraus. Beim Rückweg aus dem Fjell habe ich heute trotz langer Unterwäsche, Fleecepulli und Hose, Windstopper-Fleece und GoreTex-Jacke gefroren. Ich verbringe den Nachmittag also mit „Nichtstun“ und koche mir in aller Ruhe mein Abendbrot, bevor ich mich heute recht früh nach der durchwachten letzten Nacht in meine Schlafsäcke kuschele.
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