Trekking im Rondane-Gebirge

~ Tag 9 ~

Datum: Sonntag, 23. Oktober 2011
Wetter: teilweise bedeckt, 4 °C

Tageskilometer: 11,4 km + 12,1 km getrampt (Grimsdalshytta – Grimsdalen – Bjørkheim)
Reine Gehzeit: 02:26:23
Durchschnittsgeschwindigkeit ohne Pausen: 4,3 km/h
Durchschnittsgeschwindigkeit mit Pausen: 1,2 km/h
Höhenmeter im An- & Abstieg: 262 m / 136 m
Minimale/Maximale Höhe: 926 m / 1105 m

Unterkunft: Zelt

Mein Wecker klingelt heute um halb sieben und ich bin froh, endlich aufstehen zu können, denn ich liege schon wieder seit Stunden wach. Ich kann einfach nicht so lange schlafen wie Micha, der sich von mir nicht stören lässt und in aller Seelenruhe weiter schlummert, während ich mich leise anziehe. Ich schnappe mir meinen Fotorucksack und gehe nach draußen. Am nachtblauen Himmel steht ein schöner leuchtender Sichelmond, der mir den kleinen Trampelpfad auf die Kattuglehøe (1553 m) ausleuchtet.

Die 500 Höhenmeter auf die Anhöhe hinauf haben mich ganz schön ins Schwitzen gebracht, aber auf dem Gipfel weht wie üblich ein eisiger Wind, der diese Wärme viel zu schnell verfliegen lässt und mich fast von den Beinen weht. Ich setze mich deshalb in den Windschatten des größten Steinmännchens und muss noch eine ganze Weile warten, bis ein erstes zaghaftes Morgenlicht den neuen Tag ankündigt. Es ist ein unglaublich intensives Erlebnis, allein hier oben in der Dunkelheit zu sitzen. Die Minuten verstreichen zähflüssig wie Honig, während der böige Wind um meinen kärglichen Windschutz braust und wie ein Derwisch zwischen den Felsritzen und Sträuchern hindurch pfeift, immer auf der Suche nach etwas, dass er mit sich reißen kann.

Endlich zeigt sich am östlichen Horizont ein erstes rosarotes Leuchten des Sonnenaufgangs zwischen den Wolken, die vom Wind zerfetzt über die Rondaneberge sausen. Ein unglaubliches Schauspiel bietet sich mir nun von meinem Panoramaplatz über dem Grimsdalen. Fast mystische Lichtmomente kann ich erleben, die mir einmal mehr verdeutlichen, welch wunderbarer Künstler doch die Natur ist. Immer wieder überraschend gleicht kein Sonnenaufgang dem letzten und motiviert stets aufs Neue, schon vor Tagesanbruch loszuziehen und in der Kälte auszuharren, um dieses Schauspiel mit der Kamera einzufangen.

Die Sonne schafft es auch um halb neun noch nicht, über die Wolken am Horizont zu steigen und da ich inzwischen vor Kälte nur so bibbere, mache ich mich auf den Rückweg zur Hütte. Als ich dort ankomme, ist Micha gerade aufgestanden und wir packen erst einmal unsere Sachen zusammen, bevor es Frühstück gibt. Mit Knäckebrot und Leberwurst aus den Hüttenvorräten wird danach das Loch im Bauch gefüllt und gegen 10 Uhr stehen wir abmarschbereit vor der Hütte.

Es geht auch heute weiter durchs Grimsdalen. Rund 25 Kilometer liegen bis nach Dovre an der E6 noch vor uns. Wir hoffen natürlich, dass wir vielleicht Glück haben und uns jemand mitnimmt, denn sooo toll ist es nun gerade nicht, diese Schotterstraße entlang zu laufen. Aber wir machen uns heute dennoch auf einen langen Fußmarsch gefasst. Trotz des Wochenendes waren hier gestern gerade mal eine Handvoll Autos an uns vorbei gefahren.

Eine Zeitlang können wir noch in der Sonne laufen, dann werden die Talhänge zu steil, um dass die Sonnenstrahlen noch darüber hinweg gelangen könnten. Dadurch wirkt das Tal einmal mehr trist und eintönig. Wir verfallen beide deshalb bald wieder in ein stummes monotones Laufen, jeder in seine eigenen Gedanken versunken, die im Moment bei mir nicht gerade rosig aussehen.

Mehr und mehr wird mir während dieser Reise bewusst, dass es für mich und Micha als Paar keine Zukunft geben wird. Angedeutet hat sich dies schon geraume Zeit vor unserem Urlaub, aber ich wollte uns noch einmal die Gelegenheit geben, uns auf dieser Reise wieder anzunähern. Aber genau das Gegenteil ist passiert. Wir haben uns nur noch weiter voneinander entfernt. Wir sind zwar gemeinsam unterwegs, aber doch irgendwie jeder für sich allein. Es gibt kaum noch Gespräche, die Hüttennächte, die mit Kerzenlicht und bollerndem Ofen eigentlich so romantisch sein könnten, verbringe ich allein mit einem Buch, während Micha wie immer sehr zeitig schlafen geht. So verabschiede ich mich innerlich mit jedem Schritt mehr ihm, während er dieses nicht einmal bemerkt. Ich glaube, das liegt daran, dass er schon immer ein Einzelgänger war (ich bin schließlich seine erste Beziehung). Ich dagegen habe durch meine Kinder und diverse vorausgegangene Beziehungen einfach ein ganz anderes Einfühlungsvermögen. Es tut schon weh, dies feststellen zu müssen und zusammen mit ein paar anderen Dingen, die mir in unserer Beziehung sehr fehlen, glaube ich nicht mehr daran, dass wir unser Leben weiter zusammen verbringen werden…

Mit diesen trüben Gedanken zieht sich der Weg scheinbar endlos in die Enge und ich weiß bald nicht mehr, wie ich die vor uns liegende Strecke schaffen soll. Meine Beine sind nach einigen Kilometern nur noch Pudding und der Rucksack schmerzt auf der rechten Schulter aufgrund des Riemens der Kameratasche, die ich die ersten Tage immer dort unter dem Schultergurt getragen hatte, fast unerträglich. Zu allem Übel habe ich mir an der rechten Ferse in den letzten Tagen eine fette Blase gerieben.

So traben wir Meter um Meter dahin, bis nach reichlich zehn Kilometern gegen Mittag endlich ein Auto kommt und sogar anhält. Darin sitzen Mutter, Vater und zwei Töchter, die für uns eng zusammenrücken müssen, damit wir auch noch mit hinein passen. Ganz schnell zieht nun die Strecke an den Autoscheiben vorbei, die wir hätten noch laufen müssen. Zwar wurde die Landschaft bald wieder etwas interessanter mit Ausblicken auf die Berge des Dovrefjells, aber diese hätten wir uns auch hart erkämpfen müssen, da ein Großteil der Strecke stetig bergauf führte. So sind wir froh, dass wir uns ins Fjell hinauf fahren lassen können und steigen aus, bevor die Schotterstraße wieder hinab ins Tal der E6 führt. Da heute zum Sonntag sowieso alle Geschäfte geschlossen sind und wir keine Wanderkarte für dieses Gebiet mehr haben, wollen wir den restlichen Tag hier verbringen und erst morgen nach Dovre hinein laufen.

Auf einem Wander-Parkplatz an einer kleinen Hüttensiedlung bei Bjørkheim lassen wir uns absetzen und machen erst einmal vor dem „Plumpsklo“ Mittagspause: Windschutz!!! 😉 Wir essen ein paar Kekse und Trockenobst und bereiten uns mit dem heißen Wasser aus den Thermosflaschen einen Kakao.

Anschließend machen wir uns auf die Suche nach einem windgeschützten Platz für unser Zelt und werden auch bald in der verlassenen Hüttensiedlung fündig. Dort haben wir sogar eine Bank mit Tisch, welch ein Luxus! Nachdem das Zelt steht, mache ich mich auf den Weg, um irgendwo Wasser zu organisieren. Ich muss dafür auch gar nicht weit gehen, hinter dem Parkplatz plätschert in einem kleinen Wäldchen ein klarer Bach dahin und ich laufe bald mit dem gefüllten Wassersack zurück zum Zelt. Ich koche mir noch einen Cappuccino und kann dann gemütlich auf der Bank sitzend mein Tagebuch nachtragen und anschließend sogar noch ein kleines „Sonnenbad“ genießen.

Gegen halb vier am Nachmittag nehmen wir noch einmal unsere Fototaschen und laufen ein Stück die Schotterstraße zurück, hinauf ins Fjell. Die karge Landschaft mit den gelben, im Wind wehenden Gräsern, unter einem weiten Himmel erinnert zeitweise fast ein Bisschen an die nordamerikanische Prärie.

Ich habe selten eine Landschaft erlebt, die so arm an Fotomotiven ist, wie dieses weite Fjellgebiet hier im Vorwinter. So laufen wir auch bald wieder zurück zum Zelt, da der Sonnenuntergang hinter sehr diesigen Bergen im Westen auch nicht besonders spektakulär zu werden verspricht.

Wir kochen uns zum Abendbrot einen Topf Nudeln mit Tomatensoße und einen weiteren Becher Kakao. Danach geht Micha ins Zelt schlafen, während ich es mir mit meinem Buch und Stirnlampe noch eine Weile auf der Hütten-Veranda im Windschutz bequem mache. Während ich so im Dunklen dort sitze, kann ich zweimal einen Elch im Wald hinter mir röhren hören … toll! Als mir hier draußen schließlich zu kalt wird, kuschele auch ich mich in meinen Schlafsack. Die Nacht kommt mir wieder einmal endlos lang vor. Ich liege zwischendurch immer wieder wach und friere, so frostig kalt ist es.

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