Trekking im Rondane-Gebirge

~ Tag 5 ~

Datum: Mittwoch, 19. Oktober 2011
Wetter: Schneefall & starker Wind, nachmittags sonnig, -1°C

Tageskilometer: 13,4 km (Rondvassbu – Illmanndalen – Bjørnhollia)
Reine Gehzeit: 05:43:49
Durchschnittsgeschwindigkeit ohne Pausen: 2,3 km/h
Durchschnittsgeschwindigkeit mit Pausen: 1,5  km/h
Höhenmeter im An- & Abstieg: 234 m / 476 m
Minimale/Maximale Höhe: 476 m / 1310 m

Unterkunft: DNT-Hütte Bjørnhollia

Unser Wecker klingelt heute schon wieder beizeiten und so stehen wir gegen 7 Uhr noch im Dunklen auf. Da wir heute weiter wandern wollen, möchten wir zeitig aufbrechen. Also frühstücken wir noch bei Kerzenschein, kochen Wasser für unsere Thermoskannen und packen dann unsere Sachen zusammen. Als wir anderthalb Stunden später die Rondvassbu abschließen und unsere Rucksäcke aufsetzen, geht gerade die Sonne hinter den Wolken auf und taucht den Rondvatnet in ein herrliches, diffuses Morgenrot.

Diese schöne Stimmung hält jedoch nicht lange an. Bereits als wir am Ende des Rondvatnet ankommen, fallen die ersten Schneeflocken. Da die Temperatur so gerade um den Gefrierpunkt herum liegt, ist der Schnee auch noch ziemlich feucht, weshalb wir uns unsere Regensachen überziehen, um nicht schon am frühen Morgen nass zu werden.

Wir lassen uns jedoch nicht schrecken und stiefeln ausgeruht und voller Tatendrang los. Viel von der Landschaft um uns herum sehen können wir bei dem Schneefall nicht, aber der Weg, der anfangs gleich stetig ansteigt, ist mit Steinmännchen und den obligatorischen roten T´s dennoch gut zu erkennen. Es liegt zum Glück ja auch noch nicht allzu viel Schnee hier.

Unser heutiger Weg führt uns durchs Illmanndalen, ein anfangs recht breites Trogtal, das die beiden DNT-Hütten Rondvassbu und Bjørnhollia in west-östlicher Richtung verbindet. Durch das Tal hindurch zieht sich das Flüsschen Illmannåe, entlang dessen immer wieder kleine Seen wie an einer Perlenschnur aufgereiht liegen. Den ersten und auch gleichzeitig größten dieser Seen, den Femre Illmanntjønne, erreichen wir schon ganz bald nach dem Start.

Durch den andauernden Schneefall besteht die Welt um uns inzwischen scheinbar nur noch aus unbuntem schwarz-weiß, aber irgendwie hat auch das seinen Reiz. Meine Kamera bleibt deshalb auch bei diesem Wetter immer griffbereit.

Bald haben wir den Femre Illmanntjønne hinter uns gelassen und je weiter wir ins Illmanndalen vordingen, desto tiefer wird die Schneedecke. So um die 10-20 Zentimeter liegen hier bereits. An sich wäre das noch kein großes Problem, aber die Oberfläche besteht aus einer dicken, verharschten Kruste, die nur in 50 Prozent der Fälle unser Gewicht aushält und andernfalls einbricht. Das macht das Vorankommen schnell zu einer regelrechten Tortur, denn man läuft wie auf rohen Eiern. So kostet das Vorankommen auf Dauer unglaublich viel Kraft. Letztlich stapfen wir dennoch tapfer weiter voran, es hilft ja alles nichts!

Inzwischen zieht sich unser Weg leicht wellig immer auf und ab. Ein Hügel den es zu überqueren gilt, reiht sich an den nächsten. Da es fast aufgehört hat zu schneien, können wir die umgebende Landschaft wenigstens sehen, wenngleich der Wind zugenommen hat und Schneefahnen von den Berghängen fegt. Zum Glück weht er von hinten, lässt uns jedoch aufgrund der großen Angriffsfläche, die wir mit unseren Rucksäcken bieten, immer wieder straucheln, auf einem Weg der stetig schlechter wird.

Immer wieder sind Geröllfelder zu queren, bei denen man sehr aufpassen muss, um sich nicht den Knöchel zu verrenken. Und wenn der Weg einmal über ebene Flächen führt, dann ist er oft die reinste Eisbahn. Man traut sich kaum aufzutreten, besonders da man die Eisflächen unter Schnee und Harsch meist nicht erkennen kann. So gelangen wir kurz vor 11 Uhr an eine Anhäufung von vielen kleineren Seen – den Illmannttjønnin, an denen wir nun entlang gehen.

Nun hat es gänzlich aufgehört zu schneien und ab und zu lugt sogar mal ein Sonnenstrahl durch ein Wolkenfenster. Das Gehen erfordert jedoch weiter unsere vollste Konzentration. Wir kommen nur langsam voran. Immer wieder brechen wir durch verharschte Stellen mit teilweise knietiefen Schneeverwehungen und können uns dann nur mühsam mit dem schweren Rucksack wieder freikämpfen. Es ist so unglaublich anstrengend. Doch trotz alledem bin ich froh hier zu sein, in dieser Winterlandschaft – mitten im Herzen von Rondane.

Gegen Mittag führt der Wanderweg an einem ziemlich steilen Berghang entlang. Wir beratschlagen, was wir nun tun sollen, denn als Weg kann man die kaum zu erahnende Spur im Schnee kaum bezeichnen. Dieser Pfad ist ja durch seine südliche Ausrichtung die ganze Zeit schon unter dem Neuschnee sehr vereist gewesen und wir haben weder Pickel noch Steigeisen, die uns Halt geben könnten, falls wir wegrutschen. Und einmal ausgerutscht, landet man ungebremst am Fuß des Hanges direkt in einem der Seen, dessen dünne Eisdecke mit ziemlicher Sicherheit noch nicht trägt. Und hier mitten im Niemandsland bei diesem Wind und der Kälte im See „baden“ zu gehen macht mir Angst und ist letztlich einfach lebensgefährlich.

Die Alternative zu dieser Querung am See ist jedoch ein enormer Anstieg über eine Kuppe in der Bergflanke. Keine leichte Entscheidung, da meine Beine sowieso schon recht müde sind. Dennoch ist mir die Querung über dem See entlang zu unsicher und ich beschließe über die steile Anhöhe zu gehen. Micha dagegen sieht die Querung als nicht so schlimm an und bleibt unten. Aber es kommt, wie es kommen muss und er rutscht auf einer vereisten Stelle weg. Ich kann von oben nur hilflos zusehen, wie er auf den See zu rutscht, aber zum Glück kann er seinen Sturz nach einigen Metern abfangen. Da hat er unglaubliches Glück gehabt – und ist jetzt schnell am anderen Seeende.

Ich dagegen kämpfe mich mühsam über den Berghang hinauf und komme dabei arg ins Schwitzen. Zudem weht mich der Wind hier oben über dem Tal ein paar Mal fast von den Beinen. Immer höher muss ich hinauf, um endlich eine Stelle zum queren zu finden, während Micha tief unter mir derweil ein Päuschen auf den Schreck macht.

Als ich einige Zeit später wieder unten im Talgrund bei Micha ankomme, kann ich mich wenigstens nicht mehr darüber beschweren, dass mir kalt ist. So geht es schließlich wieder weiter durchs Illmanndalen.

Gegen 14 Uhr brauchen wir beide eine Pause und so suchen wir uns eine einigermaßen windgeschützte Stelle für eine Rast. Wir stärken uns mit ein paar Keksen, etwas Trockenobst und mit einer großen Tasse heißem Kakao. Währenddessen überlegen wir, ob wir nicht gleich hier irgendwo unser Zelt aufschlagen sollten, da wir beide schon recht geschafft sind. Aber nach unseren Erfahrungen mit diesen schwierigen Wegbedingungen, scheint uns eine Übernachtung zu heikel. Wir haben keine Informationen, wie sich das Wetter entwickeln wird und bei noch mehr Schneefall wird die Route kaum noch zu bewältigen sein, vor allem da wir nicht wissen, welche Schwierigkeiten die restliche Strecke noch für uns bereithalten wird. Immerhin haben wir noch ein Drittel des Weges zur Bjørnhollia vor uns liegen. Die Sommerroute entlang des Berghanges ist bei diesen Bedingungen nicht mehr sicher zu begehen und für die Winterroute im Talgrund sind die Seen und der Fluss noch nicht gefroren. Es kann deshalb sein, dass wir vielleicht an einer Stelle umkehren müssen, weil es nicht weiter geht und dann sollten wir keine Zeit vertun. Zu dieser Jahreszeit kann uns das Wetter ganz schnell jegliche Alternative extrem erschweren, wenn nicht gar ganz unmöglich machen.

Also schultern wir unsere Rucksäcke und weiter geht es. Die Pause hat uns, obwohl sie nicht lang war, auch ganz schön ausgekühlt, und so ist es gut, sich wieder zu bewegen. Und der Gedanke, in einem warmen Bett statt im eisigen Zelt hier im stürmischen Illmanndalen schlafen zu können, mobilisiert noch ungeahnte Kräfte.

Diese Kräfte brauchen wir dann gleich kurz nach unserer Pause wieder, denn obwohl wir in der Ferne schon das Tal des Atnasjøen sehen können, kommt unser Ziel scheinbar gar nicht näher. Eine schwierige Passage folgt der nächsten und es gibt kaum noch einfaches Gelände. Irgendwann steht uns wieder eine sehr steile Hangquerung bevor, die ich jedoch nicht umgehen kann. Und das Ganze wie gehabt auf einem schmalen, abschüssigen Trampelpfad, der unter dem Schnee natürlich vereist ist. Ich habe Angst, hier entlang zu gehen, aber wir müssen ja weiter, wenn wir nicht den ganzen Weg zurückgehen wollen. Also arbeite ich mich nach Micha – dem ich den Vorrang lasse als Erster zu gehen – im Zeitlupentempo auf die andere Seite und bin enorm froh, als wir beide heile dort ankommen. (Irgendwie wirkt das auf den Fotos gar nicht so wild, aber glaubt mir, der Abhang war wirklich ganz schön steil!)

Der Weg bleibt auch danach anstrengend. Kaum freuen wir uns, dass er mal im Talgrund entlang führt, müssen wir schon wieder eine steile Bergflanke hinauf. Unzählige Bäche und verschneite Geröllfelder müssen überquert werden, aber irgendwie kommen wir doch Stück für Stück voran.

Irgendwann stellen wir dann erschrocken fest, dass wir scheinbar auf einer Insel im Talgrund gelandet sind, denn plötzlich umgeben uns zu beiden Seiten Bäche. Wir kommen einige Zeit später jedoch zum Glück trockenen Fußes an einer schmalen Stelle wieder auf die Uferseite, nur um uns gleich darauf wieder eine steile Bergflanke hinauf zu quälen.

Nachdem wir scheinbar den höchsten Punkt des Tales überschritten haben, kommen wir Stück für Stück wieder in tiefer gelegene Bereiche, in denen die Schneehöhe geringer ist, aber das Eis auf den Wegen bleibt uns noch eine Weile erhalten.

Inzwischen bekommt die Landschaft um uns herum auch wieder Farben. Die Schneeflecken werden immer kleiner und auch der Weg ist endlich eisfrei, auch wenn das kaum noch einen Unterschied macht, so viel Pudding habe ich in den Beinen… 😉 Also machen wir an einer wunderschönen Stelle, von der aus wir schon einen schönen Blick auf den Musvoltjønna (den See bei Bjørnhollia) und ein paar Hütten im Talgrund haben, noch eine letzte Rast. Und dazu belohnt uns die gerade hervorbrechende, tief stehende Sonne mit einem herrlichen warmen Streiflicht.

Auch wenn Bjørnhollia schon greifbar nah scheint, ziehen sich die letzten Kilometer scheinbar endlos in die Länge. Wir kommen durch ein Birkenwäldchen mit skurrilen, wahrscheinlich sehr alten Krüppelbirken und um uns herum wachsen dicke Teppiche von Rentiermoos. Ich kann mich auf dem zum Teil sehr abschüssigen Abstieg über felsigen Untergrund fast nicht mehr auf den Beinen halten. Obwohl ich eigentlich für meine Verhältnisse recht fit bin und im Sommer viel bei uns in der Sächsischen Schweiz gewandert – nach dieser Etappe mit dem schweren Rucksack, der sicher noch um die 25 Kilo wiegt, bin ich völlig fertig! Die kleinste Windböe wirft mich fast um und ich torkele nur noch von Stein zu Stein.

Nach neun Stunden, die wir uns durchs winterliche Illmanndalen gekämpft haben, erreichen wir gegen Abend endlich Bjørnhollia. Die erste Bank noch vor der Hütte ist die Meine und ich bin kaum noch dazu zu bewegen, wieder aufzustehen, um mich die letzten Meter in die Hütte zu schleppen. Diese ist unglaublich urig und gemütlich. Da außer uns keine Gäste hier sind und die Haupthütte gerade renoviert wird, beziehen wir die größte Kammer der Selbstversorgerhütte. Da ich keinen Schritt mehr tätigen möchte, holt Micha anschließend Wasser vom Bach, während ich schon mal den Ofen anheize. Ein heißes Getränk kurz darauf haucht mir wieder ein paar Lebensgeister ein, so dass ich mich in der Hütte etwas umsehe und ein paar Fotos davon mache.

In der Gemeinschaftsküche kochen wir uns heute zum Abendbrot einen großen Topf Spaghetti Bolognese und zum Nachtisch gibt es ein Stück Schokolade. Nach dem Essen gehe ich noch einmal kurz zum Fotografieren nach draußen. Es ist inzwischen sternenklar und überall hängen Eiszapfen von den Dachrinnen, die durch das Licht der Fenster golden aufleuchten.

Wie gemütlich und urig ist es dann, wenn man mit steifgefrorenen Fingern nach einem solchen abenteuerlichen und anstrengenden Tag wieder in die warme Hütte kommt, die mit Kerzenschein erleuchtet ist, der wärmende Ofen knistert und mit Holzfeuerduft die Stube erfüllt…

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